Ich habe vergessen, wie es ist, wenn man einfach nur sein darf. Das geht wahrscheinlich vielen so, denn so sind wir konditioniert seit der Schule. Wir bewegen uns meistens in einem vorgefertigten Raster, das bestimmt wird durch Geld heranschaffen für die Familie oder das nächste Konsumgut oder, um „leben“ zu können. Wobei „leben“ nicht das richtige Wort ist, denn es handelt sich meistens nur um die Lückenfüllerei zwischen arbeiten, notwendigen Pflichten und der Regeneration für die Arbeit. Wer kein Sportler ist, endet dann häufig vor dem Fernseher, weil die Energie fehlt.

Energie ist ein Thema, das mich auch schon lange beschäftigt. Es ist selten genug von ihr da. Bei mir vor allem nicht, wenn ich gezwungen bin, Dinge zu tun, die ich tun MUSS, aber nicht wirklich will. Wenn ich eine Arbeit tue, die ich für sinnlos halte, wenn ich mit Menschen zu tun habe, die ihre Selbstbestätigung daraus ziehen, dass sie andere klein machen. Wenn ich Hass spüre und Ausgrenzung sehe.

Gestern saß ich in einem Café in Moabit. Der Tisch neben mir war von einem Mann und einer Frau besetzt, die sich über Bewerber unterhielten. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich die Bewerbungen lesen können, denn die Ausdrucke lagen auf dem Tisch. Mal davon abgesehen, dass ich den Ort für sehr ungeeignet hielt für so ein Thema, merkte ich wieder, wie sehr ich es ablehne, wenn man Menschen nur anhand ihrer beruflichen „Leistungen“ beurteilt. Also ihre Fähigkeit, sich einzupassen in ein Unternehmen und zu „performen“ wie es so schön heißt. Es ist die Art, wie darüber gesprochen wird, die mich abstößt und die Erwartung, dass ein Mensch Teil eines Getriebes werden soll, obwohl er mit seinen Ecken und Kanten nie zu hundert Prozent passen kann.

Doch trotz Fachkräftemangel sind es nicht die Unternehmen, die sich darauf einstellen, dass Menschen eben keine Maschinenteile sind, sondern dass sie Eigenheiten und sehr unterschiedliche Bedürfnisse haben. Wo sind die Betriebe, die es Frauen und Männern leicht machen, Kinder zu haben und zu betreuen bei Krankheit und Problemen? Wo sind die Teilzeitstellen, die ein Leben neben der Arbeit ermöglichen? Wo sind die Männer, die Elternzeit einfordern und später in Teilzeit arbeiten wollen, weil sie ihre Kinder lieben und Zeit mit ihnen verbringen möchten? >Im Schnitt nehmen Männer nur 3 Monate Elternzeit und Frauen 11,6< Wo sind die Menschen, die sich dagegen wehren, dass Fußballer mehrere Millionen Euro im Jahr verdienen, während Altenpfleger nicht nur einen Hungerlohn bekommen, sondern auch noch ihre Gesundheit kaputt machen, weil sie viel zu viele Menschen betreuen müssen, die auf eine gute Pflege angewiesen wären.

Doch dieses Thema führt zu weit. Ich bin überzeugt davon, dass wir deutlich glücklicher wären, wenn wir das Thema „Arbeit“ nicht so fürchterlich ernst nähmen, wenn wir uns dem knallharten Leistungsdruck so gut wie möglich entzögen und über der ganzen Arbeit nicht das Leben vergäßen. Leben ist NICHT nur Arbeit. Leben ist lieben, ehrlich zueinander sein, Gefühle ausdrücken, emphatisch sein, füreinander dasein und zu versuchen, Dinge zu tun, die einem liegen. Vielleicht muss man dafür etwas ändern. Vielleicht muss man öfter „nein“ sagen, vielleicht aber auch endlich „ja“ und vielleicht schafft man es auch, weniger eine Rolle zu spielen und mehr der oder die zu sein, der oder die man wirklich ist – im Privaten und im Beruf.