Schreiben. Ich schreibe fast die ganze Woche lang, um Geld zu verdienen. Daneben gibt es so etwas wie „Leben“ und nur wenig Raum für das Hobby, das ich am liebsten hauptberuflich tun würde: „Schreiben“. Klingt widersprüchlich. Ja, aber hier geht es um ein anderes Schreiben um das Erfinden. Um Geschichten und Charaktere, die ich mir selbst ausdenke, Figuren, die auf dem Papier das tun, was ich ihnen auf den Leib erfinde. Natürlich gespeist aus dem eigenen Leben. Doch was, wenn das eigene Leben nur noch am Schreibtisch stattfindet? Corona hat uns den Abstand gebracht mit seinen vielen Videokonferenzen, Homeoffice-Käfigen und E-Mails. Und jeden Tag der ewig gleiche Radius, wenn ich einmal am Tag Gassi gehe. Das Gehirn verkümmert, die Phantasie legt sich schlafen und der Rest des Menschen wird träge. 

Und das Paradoxe: Ich mag den Abstand. Ich mag es, im Homeoffice zu arbeiten statt tagtäglich zweimal quer durch die Stadt fahren zu müssen und über zwei Stunden Lebenszeit zu verlieren. Und doch…. Es fehlt etwas. Es fehlen Konflikte, neue Impulse, Entdeckungen, Überraschungen. So mancher würde noch ergänzen: die Nähe zu anderen Menschen. Ehrlich gesagt fehlt mir die nicht, doch habe ich das Glück, nicht allein zu leben, habe eine Katze und sogar einen Garten. Das Büro war noch nie der Ort meiner Träume. Dabei hat sich mit meiner neuen Arbeitsstelle sehr viel von dem erfüllt, was ich mir für eine Arbeit immer gewünscht habe: „vom Schreiben leben“ und das auch noch mit sinnvollen Themen und in einer wirklich warmherzigen, wertschätzenden Atmosphäre. Durch Corona darf ich zuhause bleiben, muss nicht mit Kolleginnen und Kollegen kegeln gehen und kann mir meine Zeit fast frei einteilen. Es gibt Deadlines, aber die Aufgaben sind klar verteilt und wenn jemand Probleme hat, wird geholfen – ohne abfällige Worte oder Getuschel hinter dem Rücken. Es gibt Augenhöhe, nicht nur im Team, sondern auch mit sehr vielen anderen im Unternehmen. Ich lerne. Ich darf mit Technik und neuen Tools spielen, weil wir uns digitalisieren. 

Perfekt und doch nicht perfekt

Alles Gründe, um mir zu sagen: du hast wirklich alles richtig gemacht, als du dieser Stelle zugesagt hast. Nach wie vor ist das auch wahr. Es wäre sogar perfekt, wenn ich 25 wäre, gerade angekommen im Berufsleben. Heute mit 58 macht es mich müde, im Auftrag zu arbeiten. Rahmenbedingungen einzuhalten – 2300 Zeichen mit Leerzeichen – für vorgegebene Rubriken Themen auszuwählen und zielgruppengerecht zu formulieren. So manches Mal zuckt es in meinem Hirn, will die Hand einfach mal frech sein, die harte Wahrheit schreiben, riskieren, Widerspruch zu ernten, Diskussionen im Intranet loszutreten. Oder einfach albern sein dürfen. Quatsch schreiben, etwas erfinden, assoziieren, übertreiben. Wie bei einem Roman eben. Meinem Roman. Und da kommen wir zu meinem Problem: Ich bin von der Arbeit zu erschöpft, um nach Feierabend noch kreativ zu sein. Ich brauche lange, um den Kopf endlich wieder frei zu haben, mich mit meinem Roman neu zu verbinden, wieder in die Geschichte einzusteigen. Ich schreibe stückchenweise, statt an einem Stück. Dabei sehne ich mich nach dieser Freiheit. Losgelöst von dem Müssen und dafür angekommen im Dürfen. Manchmal liege ich im Bett und denke, wie toll es ist, dass ich einfach bestimmen kann, wie meine Romanfiguren jetzt weitermachen. Dass es irre ist, dass ich an einem Tag noch keine Ahnung habe, wie sie aus einer bestimmten Situation wieder herauskommen sollen und durch ein Geräusch, einen Geruch oder eine Stimme plötzlich weiß, wie es weitergeht. Wenn es aber keine neuen Eindrücke gibt, vertrocknet die Phantasie, rührt man in der ewig gleichen Suppe der abgespeicherten Erfahrungen, verirrt sich im Dickicht der Vergangenheit oder in der Google-Wolke. Ich brauche neue Orte, andere Menschen, Meeresrauschen, Cafe-Stimmungen, Typen in der U-Bahn, Hundekacke-Beutel, Selbstdarsteller, freundliche und hässliche Worte, Peinlichkeiten, Freudentränen. Und das in echt, nicht in Filmen.

Ein Traum und eine Überraschung

So und was mache ich jetzt daraus? Ein schlüssiger Text ist es nicht geworden und auch nicht der Text, der es eigentlich werden sollte. Denn ich wollte von meinem Traum erzählen, in dem ich plötzlich äußerlich zum Mann wurde inklusive Futzelbart und lockigen roten Haaren. Wie ich versuchte, mich wie ein Mann zu verhalten. Dass ich dachte: Wow, ich kann jetzt einfach mein T-Shirt ausziehen, wenn mir warm ist. Aber halt! Du darfst es nicht überkreuz über den Kopf ziehen, denn das machen nur Frauen. Und wie ich mich entschloss, Friseur zu werden, weil ich dazu Bock hatte und keine Angst haben musste, für ein dummes Blondchen gehalten zu werden. Höchstens für schwul, aber das fand ich nicht schlimm. Wie ich zum ersten Mal als Mann pinkeln war und einen Schwanz in der Hand hielt, ohne dass es irgendwie um Sex ging. Und wie ich beobachten konnte, wie der andere Mann, zu dem ich äußerlich geworden war, nun aussah wie ich vorher als Frau. Dass ich dachte, hey, das ist aber eine tolle Frau! Wieso habe ich das vorher nicht auch so gesehen?

Doch genug. Dieser Text wird nicht runder, indem ich ihn mit mehr Worten fülle. Das Fazit lautet vielleicht: Macht euch frei von Erwartungen und Rollenklischees. Hört auf euch selbst und versucht frei zu sein. Und ich meine frei, so wie ihr es definiert – das kann auch bedeuten, dass man in Coronazeiten eine Maske trägt und Abstand hält. Ha! Damit hättet ihr jetzt nicht mehr gerechnet, oder?!